Waldhuis Ferien in Italien vom 13.06. - 20.06.25
Das Waldhuis-Angebot macht nicht Halt vor den Wünschen der Gäste, sondern passt sich an und versucht, diese möglich zu machen. Ferien im Ausland – welche Hürden, Herausforderungen, Glücksmomente, aber auch Chancen dabei entstehen können, wenn man mit einem Menschen im Autismus-Spektrum reist, erzähle ich euch sehr gerne hier im Blog.
Alles begann fast ein Jahr zuvor, mit einem Wunsch von D.s Mutter: dass er wieder einmal ans Meer fahren kann. Wir schauten uns verschiedene Möglichkeiten an, bevor schliesslich entschieden wurde, dass es ein „Männer-Roadtrip“ wird. Also mietete ich einen Camper für die gewünschte Zeit.
Hier begann auch gleich Challenge 1.
Welche Art von Camper wird benötigt? Wo gibt es genug Platz? Wie kann man die Räumlichkeiten etwas trennen? Wie gross soll der Camper sein?
Schlussendlich konnte ich einen Camper buchen, der für vier Personen ausgelegt ist. Challenge 1: erledigt.
Die Planung lag danach erst einmal auf Eis, da noch Zeit blieb. Als das Datum jedoch immer näher rückte, machte sich auch bei mir Nervosität breit: Haben wir den richtigen Camper? Wohin fahren wir genau? Gibt es dort Platz? Wie werden die Tage und Nächte sein? Was machen wir den ganzen Tag? Fragen über Fragen, die mich beschäftigten.
Im Austausch mit der Mutter spürte ich ebenfalls etwas Nervosität. Doch die positive Vorfreude, die schliesslich überwog, liess auch mich zur Ruhe kommen.
Am 13. Juni war es soweit: Ich holte D. in der Stiftung ab. Am Morgen fuhren wir los in Richtung Italien. Eine lange Fahrt lag vor uns.
Mit immer wieder kleinen Pausen kamen wir spät abends in Jesolo an. Das war auch unser Hauptziel.
Nun begann Challenge 2.
Wohin sollen wir? Wo gibt es Platz? Natürlich hätte ich bereits reservieren können, aber das hatte ich nicht gemacht, da man mir gesagt hatte, dass es ausserhalb der Hauptsaison sei. Ausserdem war auch ein bisschen Abenteuerlust dabei.
Ich hatte mir jedoch vorher bereits viele Campingplätze angesehen und bewusst Orte mit grossen Wasserparks vermieden, da unser Ziel das Meer war – nicht ein Outdoor-Pool.
Jedenfalls steuerte ich spätabends nach unzähligen Autofahrstunden den Platz „Waikiki“ an. Erst hiess es: kein Platz. Mit meinem gebrochenen Italienisch und etwas Glück – dort sprachen einige auch Deutsch – kam dann die Erleichterung: Wir bekamen einen Platz! Wuhuuu!
Die ersten Nächte waren gesichert. Ob wir weiterfahren oder die ganze Zeit bleiben, war noch offen. Ich parkte den Camper, wir machten die Abendroutine mit WC usw. und gingen dann ins Bett.
D., der nachts normalerweise ein paar Mal aufsteht, hatte ich informiert, dass ich draussen vor der Tür schlafe – also Vorsicht. Er schlief, ich schlief, bis er mich am Morgen weckte, wie wir es vereinbart hatten.
Da der Magen knurrte, gab es schnell ein Frühstück mit Rührei. Wer denkt, man könne morgens gemütlich frühstücken, liegt falsch. Das stand nicht auf dem Programm – dazu später mehr.
Nachdem auch ich gegessen hatte, entwickelte sich eine Team-Routine: individuell frühstücken, zusammen abwaschen (ich wusch, D. trocknete), Geschirr zurück zum Wagen, verräumen, Zähne putzen, frisch machen. Das war unsere Morgenroutine – Tag für Tag. Ausser … :) aber auch dazu später.
Nach allem kam der grosse Moment: Wir liefen zum Strand. Meeresluft, weisser Sandstrand, Liegestühle, bella Italia. Sofort zogen wir die Schuhe aus und liefen ins Wasser. Nass, kalt, aber herrlich. Im Wasser gingen wir ein paar Meter am Strand entlang, setzten uns dann hin und liessen die Atmosphäre auf uns wirken. Ankommen.
Ein schöner Moment. Wieder einmal Meer. Ich glaube, D. war wirklich gerührt, als er so dasass und ins Weite blickte. Freude pur, würde ich sagen. Auch ich hatte Freude – ich war ebenfalls schon lange nicht mehr am Meer.
Viele Stunden später, es war schon Nachmittag, kam der nächste grosse Moment: Mit Badehosen an den Strand. D. setzte sich zunächst einfach ins Wasser, schwamm aber nicht wirklich. Irgendwann liess er sich ins Wasser fallen, machte genau eine Schwimmbewegung und kam dann wieder heraus. :) Das war’s.
Ich versuchte, ihn noch ein paar Mal zu motivieren: „Komm!“, aber nein. Lieber sitzen und ein Sandpeeling machen. Auch gut.
So ging der Abend zu Ende, mit Pasta zum Nachtessen.
Sonntag: ziemlich gleich wie Samstag. Morgens ein längerer Spaziergang am Sandstrand. Dann zog es uns wieder an den Strand – in Badehosen. Wird es heute einen zweiten Meer-Schwumm geben?
Wieder erst ein vorsichtiges Herantasten. Morgens war das Meer oft etwas kälter als nachmittags. Vielleicht nur Füsse baden?
Am Nachmittag wagte sich D. dann doch wieder hinein. Schön – das zweite Mal. Aber auch diesmal nicht allzu lange. Lieber wieder sitzen, mit dem Sand spielen, sich einsanden. Es war schön, ihn zu beobachten und seine Freude zu sehen.
Am späten Sonntagabend ging ich noch einmal zur Rezeption. Der Gedanke, weiterzuziehen, rückte immer mehr in den Hintergrund. Ich wollte bleiben – D. zuliebe und auch mir zuliebe. Für mich war es Stress genug, spontan einen neuen Platz zu finden. Ausserdem hatten wir Glück: ein super Platz, nahe am Meer, nette Nachbarn, die einem helfen oder Tipps geben, wenn man mit dem Camper zweifelt.
Du kannst es dir denken: Michi hatte eine kleine Krise. Sonntagabend, nach dem Abendessen, kamen Zweifel. Was mache ich hier? Ist es das, was ich möchte? Familie zu Hause, ich kenne niemanden hier, kann kaum Italienisch, extreme Stille den ganzen Tag, denn D. macht nur vereinzelte Laute, die eher Fragen andeuten. Kommunikation läuft über geschlossene Fragen.
Grosse Zweifel, Heimweh? Keine Ahnung.
Doch ich konnte mich wieder aufrappeln: „Ich schaffe das. Wir werden es schön haben. Mach den Campingplatz zu einem Waldhuis – ein sicherer Ort mit guten Menschen rundherum.“
Mit diesem Mindset ging ich wieder ins Bett, das ich jeden Abend draussen vor der Tür aufbaute. Ausser …
Montag, 16.06.25. Frühaufsteher. Der Tag startete – dachte ich – wie immer. Nö, nö!
Heute war alles anders: früh aufstehen, WC, dann kein Frühstück, sondern Frühsport – Powerwalk. Danach erst Frühstück, dann Routine. Und so ging es die nächsten Tage weiter: Aufstehen – laufen – frühstücken – abwaschen – Strand oder Bus fahren – laufen – Mittagessen – laufen – Strand – Abendessen – Abendroutine – schlafen.
Hier kam mir noch eine witzige Erinnerung in den Sinn:
„2 x 3 macht 4,
Widdewiddewitt und drei macht neune!
Ich mach’ mir die Welt,
Widdewidde wie sie mir gefällt …“
Stressig? Nein! Alles in der Ruhe. :)
Bis der Regen kam. Dann war Schluss mit schönem Campingleben. Alles auf engem Raum. Michis Stresspegel stieg, D.s wahrscheinlich auch. Es regnete nicht nur, sondern es gab auch ein kleines Gewitter.
D., der sonst immer so ruhig im Auto war, wurde nun noch von mir genervt, weil ich kochte. Obwohl – es war quasi „Live Cooking“. D. konnte direkt vom Bett auf die Herdplatte schauen.
Er ging trotz Regen nach draussen, drehte seine Runden, bis das Essen fertig war. Danach ass er, ich auch, und er zog sich zurück ins Bett. Es war der erste Abend, an dem wir beide schon vor 22 Uhr im Bett lagen. Müde, erschöpft von der Hitze, den Temperaturwechseln usw.
Am nächsten Tag war wieder alles wie immer: Das Wetter super, warm, das Meer ruhiger. Wir konnten wieder unsere gewohnten Routinen aufnehmen.
Weitere Highlights:
Wir sind gemeinsam die ganze Jesolo-Strandmeile abgelaufen: vom Centro Ambiente Turistico bis zum Waikiki Camping – in etwa zwei Tagen bzw. an zwei Nachmittagen.
Wir waren auch zweimal auf einem Markt. So schnell wie dort bin ich aber noch nie durch einen Markt gelaufen. :) LOL
Am Donnerstag hiess es Abschied nehmen: Tschüss liebe Camping-Nachbarn, tschüss schöner Strand, tschüss Morgenwärme mit 25 Grad. Viele gute Momente haben wir mitgenommen.
Ferien mit D. – mal anders. Ihn glücklich und zufrieden am Strand zu sehen. Ihm das Vertrauen geben, dass er nicht wegläuft, sondern in der Nähe bleibt. Ich habe ihn oft einfach machen lassen, ohne genau zu wissen, wo er gerade ist. Ich konnte ihn rufen, und er kam.
Die vielen Strandbesuche, das Sitzen, in die Weite schauen. Stunden, Minuten oder nur ein paar Sekunden einfach „sein“. Immer das gleiche Essen: Pizza, Pasta, Rührei – was braucht man mehr? :) Ach ja: den Sonnenbrand darf man nicht vergessen. Einmal zu wenig eingecremt oder die italienische Sonne unterschätzt.
Es war super. Einfach nur super.
Und D.? Ich habe gewisse Themen vorgegeben. Seine Mutter hat ihn befragt und Punkte vergeben. Insgesamt bekam der Urlaub von ihm 9 von 10 Punkten.
Was mich besonders gefreut hat: so viel erlebt, gesehen, mitbekommen, lange Fahrten, und eine gesunde Müdigkeit danach – das gehört doch dazu, oder?
Würdest du es wieder tun?
Nach langem Nachdenken und ein paar Nächten drüber schlafen war meine Antwort: ganz klar Ja.
Es ist auch für mich eine Horizonterweiterung: Neues wagen, ausprobieren, sich ins kalte Wasser werfen lassen. Das Ergebnis: totale Müdigkeit, Freude und Zufriedenheit – das macht auch mich einfach nur glücklich.
Wann kommst du mit?